Nichts schwillt an, rötet sich oder schmerzt. Keine Wunde zeigt sich, keine Killerzellen-Armee trotzt dem Angreifer. Diese Entzündung streckt uns
auch nicht schlagartig nieder und wird sogleich mit heftigem Fieber ausgeschwitzt. Die stille Entzündung oder „Silent Inflammation“ brennt
auf kleiner Flamme, unbemerkt verteilt sie sich im ganzen Körper. Es dauert oft lange, bevor sie sich deutlich bemerkbar macht.
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass schon in wenigen Jahren chronische Entzündungen die Hauptursache für einen frühen Tod sein werden. Denn die heimlichen Vorgänge im Organismus stehen in direktem Zusammenhang mit Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und starkem Übergewicht.
Wo das Hauptproblem sitzt
Es ist klingt nicht höflich, aber Drumherumreden hilft nicht weiter: Hauptverursacher für stille Entzündungen ist das Bauchfett, die oft über lange Zeit angefutterte Wampe. Das sogenannte viszerale Fett legt sich wie ein Panzer nicht nur um den Magen, sondern auch um andere Organe, und es ist äußerst aktiv im Produzieren von Entzündungsstoffen. Pölsterchen an Hüfte, Oberschenkel und Gesäß sind dagegen unproblematisch.
Wer sich einen kleinen oder großen Bauch zugelegt hat und gesund bleiben will, muss umlernen. Denn sein Körper befindet sich in einem andauernden, kräftezehrenden Abwehrkampf. Studien zeigen, dass ein permanent erhöhter Entzündungswert einen negativen Einfluss auf den Alterungsprozess hat. Die Enzyme des Immunsystems haben die Fähigkeit, den Verfall von Zellstrukturen aufzuhalten – außer sie sind ständig damit beschäftigt, sich selbst anzugreifen. Genau das passiert bei der stillen Entzündung. Selbst Schlanke können von heimlichen Entzündungsprozessen betroffen sein. Winzige Störenfriedewie Umweltgifte, Feinstaub und Nikotin führen auf mikroskopisch feiner Ebene zu Entzündungsprozessen. Auch Depressionen und Stress gehören zu den Auslösern. Damit nicht genug. All diese Verursacher können sich multiplizieren. Denn wer gestresst ist, isst oft auch ungesünder. Bei chronischen oder immer wiederkehrenden Krankheiten wie Rheuma, Parodontose oder Blasenentzündungen sind die inneren Alarmsysteme ebenfalls in Daueraktion. Deshalb können viele Strategien, die gegen die stillen Entzündungen positiv wirken, auch bei diesen Beschwerden hilfreich sein. Diese Lebensmittel befeuern die Entzündungen. Bestimmte Lebensmittel fachen aufflackernde Entzündungen erst richtig an: Dazu zählt alles Süße, aber auch Weißmehlprodukte und Fleisch. Vor allem Schweinefleisch enthält viele entzündungsfördernde Substanzen. Besonders ungünstig ist, dass Nahrungsmittel mit unzähligen Extrastoffen künstlich angereichert werden, um den Geschmack zu verstärken, das Produkt fluffiger oder haltbarer zu machen. Je mehr davon in einem Lebensmittel enthalten sind, desto irritierter reagiert unser Darm. Aber auch Rückstände aus Pestiziden, Fungiziden und Schwermetalle stören das sensible Gleichgewicht. Leider landen auf der anderen Seite immer weniger frische, nicht verarbeitete Produkte in unserem Einkaufskorb. Diese Lebensmittel wirken antientzündlich Probiotika beispielsweise aus Naturjoghurt sind antientzündliche Lebensmittel par excellence. Denn sie enthalten die gesunden Bakterien, die unser Verdauungssystem so dringend braucht. Schließlich bildet sich im Darm das Immunsystem aus und hier werden zahlreiche Stoffwechselprozesse gesteuert. Auch die Präbiotika haben eine wichtige Funktion. Sie füttern die Bakterien, wie die es lieben: mit Ballast- und sekundären Pflanzenstoffen aus Gemüse, Rohkost, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten und Salat. Deshalb lautet die einfache antientzündliche Empfehlung: täglich drei Handvoll Gemüse essen.
Beim Obst punkten vor allem Beeren wie Heidelbeeren, Erdbeeren und Himbeeren mit ihren entzündungshemmenden Flavonoiden oder sekundären Pflanzenstoffen. Sie machen Obst so gesund. Auch Zitrusfrüchte enthalten viele Antioxidantien. Und als vitaminreicher Saft sind Aronia- und Cranberrysaft besonders wertvoll. Genauso gut sind unsere heimischen Exoten wie Hagebutten und Sanddorn. Nüsse liefern hochwertige Fette. Eine Handvoll Mandeln, Cashewkerne, Wal-, Hasel- und Paranüsse sind die richtige Tagesdosis.Asiatische Mediziner schwören auf die entzündungshemmende Wirkung von Gewürzen wie Ingwer und Kurkuma.
Sport und Bewegung in den Alltag einbauen
Dreimal dreißig Minuten in der Woche – so viel sollten Sie mindestens in Bewegung sein. Es muss ja nicht immer die Joggingrunde sein. Ein fixer
Spaziergang, die Treppe zur 3. Etage laufen, mit dem Fahrrad und nicht mit dem Bus zur Arbeit fahren – was fällt Ihnen ein, um mehr Bewegung in Ihren Alltag zu bringen? Denn Ziel ist es, den Kreislauf zu fordern. Das ist erreicht, wenn Sie leicht ins Schwitzen kommen. Neue Studien zeigen, dass gezielter Muskelaufbau und regelmäßige Dehnungsübungen auch dazugehören.(Effektive Übungen aus dem „Reformhaus® activate
your life“-Bewegungsprogramm unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Ingo Froböse finden Sie unter www.youtube.com/c/Reformhaus
Bewegung. Klicken Sie einfach mal rein und los geht’s.
ReformhausKurier: Prof. Krüger, was deutet auf eine stille Entzündung im Körper?
Prof. Karsten Krüger: Personen, die rauchen, ein ausgeprägtes Bauchfett besitzen, viel Stress haben oder unter einer dauerhaft schlechten Schlafqualität leiden, entwickeln in der Regel auch eine stille Entzündung. Schmerz oder andere Symptome sind oftmals nicht vorhanden, was die Entwicklung der stillen Entzündungen so tückisch macht. Hinweise auf eine stille Entzündung können aber Verhaltenssymptome sein, die
man als sogenanntes Sickness-Behaviour oder Krankheitsverhalten bezeichnet, da eine langfristige Entzündung auch auf das Gehirn
wirkt. Dazu gehören ständige Abgeschlagenheit, sozialer Rückzug, Lust- und Antriebslosigkeit.
Wie aussagefähig ist der CRP-Wert, den der Arzt erhebt?
Das C-reaktive Protein ist ein sehr unspezifischer Entzündungsmarker, der nur durch weitere Differentialdiagnostik zu interpretieren ist. Eine
Erhöhung kann auf alle möglichen Entzündungen hindeuten. Bei einer akuten Entzündung, wie einem grippalen Infekt, kann das CRP auf
mehr als 100 mg/l ansteigen. Stille Entzündungen dagegen bleiben hier unauffällig, da sie meist subklinisch verlaufen. Der CRP Wert liegt
also oftmals innerhalb der Referenzwerte, wenn auch im oberen Bereich. Dafür verbleibt er dort aber dauerhaft.
Bin ich bei einer klassischen Vorsorgeuntersuchung etwa dem Check-up-35 bei guten Werten auf der sicheren Seite?
Die klassische Vorsorgeuntersuchung ist auf jeden Fall wichtig. Zu beachten ist allerdings, dass sich im mittleren Lebensalter oftmals noch
keine Erkrankungen manifestieren, allerdings schleichend Risiken ansammeln. Diese fallen dann nicht selten durch das diagnostische
Raster. Daher würde ich in diesem Alter den Fokus auch auf ein Screening des Lebensstils richten – schlafe ich ausreichend und
erholsam, ernähre ich mich ausgewogen, bewege ich mich ausreichend, habe ich ein wirkungsvolles Stressmanagement? Ignoriere ich
dies, können dann bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung die Werte plötzlich nicht mehr gut sein.
Was sind die wichtigsten Quellen der stillen Entzündungen?
Die gesellschaftlich größte Bedeutung hat sicherlich das Thema Übergewicht und Adipositas. Hier stellt das viszerale Fettgewebe bzw. das Bauchfett die zentrale Entzündungsursache dar. Überladene Fettzellen und eingewanderte Immunzellen produzieren in großen Mengen Entzündungsbotenstoffe, die sich über das Blut im ganzen Körper verteilen. Eine weitere bedeutsame Entzündungsquelle ist die Lunge bei Rauchern. Auch hier gibt es bei langjähriger Nikotinsucht einen sogenannten Spill-Over einer Entzündung von der Lunge auf den Rest des Körpers, wobei
letzten Endes jedes Organ Schaden nimmt.
Was sind typische Erkrankungen, die mit einer chronischen stillen Entzündung einhergehen, bei denen die Behandlung das aber
oft vernachlässigt?
Schaut man in die wissenschaftliche Fachliteratur, finden sich bei immer mehr Erkrankungen entzündliche Ursachen. Aktuell wird dies vor allem im Bereich der stressbedingten Erkrankungen, also psychischen sowie neurologischen Erkrankungen, wie etwa Demenz, diskutiert. Auch im Bereich der
Krebserkrankungen forschen derzeit viele Wissenschaftler an entzündlichen Ursachen. Als Reaktion untersucht die Pharmaindustrie aktuell die Wirkung zahlreicher antientzündlicher Medikamente. Diese haben als Nebenwirkung aber oftmals eine Schwäche der Immunabwehr zur Folge. Präventiv und therapeutisch begleitend empfehlen wir daher immer einen antientzündlichen Lebensstil. Der ist nebenwirkungsfrei und wirkt positiv
auf den ganzen Körper.
Wie wäre eine ideale Therapie?
Wichtig ist es, möglichst früh das Risiko für stille Entzündungen zu erkennen und diesem entgegenzuwirken. Ein gutes Beispiel ist die
Entwicklung des Bauchfettes. Bekommt mein Bauch einen deutlich größeren Umfang als die Hüfte, ist die stille Entzündung im Anmarsch.
Dann heißt es: gegensteuern. Ideal wäre es, drei-bis viermal mal pro Woche sportlich aktiv zu sein, sich antientzündlich zu ernähren, sich
um Schlafhygiene zu kümmern und ein Stressmanagement zu beginnen. Auch das sanfte Intervallfasten kann antientzündlich wirken.
Wichtig ist allerdings, dass man diese Lebensstilkomponenten langfristig umsetzt. Daher ist es ratsam, eher moderate Veränderungen
umzusetzen, diese aber gern in mehreren Lebensbereichen parallel.
Welche neuen Forschungsansätze sind vielversprechend?
Hier ist die Psychoneuroimmunologie für mich das spannendste Thema, welches sich derzeit dynamisch entwickelt. In dieser Forschung
geht es um die enge Verbindung zwischen Psyche, Körper und Immunsystem. Hier wurde bereits gezeigt, wie sich durch Lernprozesse
und Emotionen das Immunsystem und somit auch der Entzündungsstatus beeinflussen lässt. Leider wird das Thema in der Praxis noch
viel zu wenig berücksichtigt. Der zukünftige Umgang mit kranken Menschen sollte das Thema viel stärker aufgreifen und die Heilung von Krankheiten stärker an positive Erwartungen und Emotionen der Patienten koppeln. Das bedeutet: Der ganze Mensch mit seinen Gefühlen, Gedanken und seinem Erleben muss in den Mittelpunkt der Medizin rücken!
Was sind die wichtigsten Strategien, um gesund zu bleiben, die wir alle umsetzen können?
Man sollte in jeder Lebensphase aktiv bleiben und dazu insbesondere den Alltag nutzen. Hier empfiehlt es sich beispielsweise, sein Auto mal stehen
zu lassen und die Wege zu Fuß oder per Rad zurückzulegen. Man sollte außerdem auf die Qualität der Ernährung achten und die Nahrungsmenge
dem Bewegungsverhalten anpassen. Wichtig ist es, auch auf eine gute Schlafqualität zu achten und ein Umfeld aus stabilen sozialen Kontakten
zu pflegen, die einem positive Gefühle wie das soziale Eingebundensein und Geborgenheit vermitteln.
Hilfreich ist es weiterhin, individuelle Strategien zum Stressmanagement zu erlernen, die man in anstrengenden Lebensphasen als Ausgleich praktizieren kann.
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